Mit den Gedanken schon im Jahr 2026

Mit den Gedanken schon im Jahr 2026

Vier Wochen Pause gab es nach erst drei WM-Läufen, die Formel 1 hamstert schon früh Entspannung in ihrer Mammutsaison. Der Große Preis von Aserbaidschan fühlt sich nun deshalb wie ein Neustart an, nicht nur weil plötzlich ein bislang ungekannter Wochenendplan ausgegeben wurde.

Am Kaspischen Meer werden erstmals zwei Qualifikationen ausgetragen: Das Zeitfahren am Freitag (das Ferrari-Pilot Charles Leclerc vor Max Verstappen gewann) ermittelte die Startaufstellung für das Rennen am Sonntag; am Samstagmittag wird das Abschlusstraining durch ein verkürztes K.-o.-System ersetzt, in dem die Rangfolge für das folgende Sprintrennen ausgemacht wird. Damit ist schon klar, woran Liberty Media als Herrscher über die Königsklasse des Motorsports denkt: Mehr Rastlosigkeit und Risiko, bloß keine Langeweile.

Titelverteidiger Verstappen, auf dessen Überlegenheit die Unsicherheitsfaktoren auch gemünzt sein könnten, hält nichts von der Zusatzspannung. Für ihn ist die DNA der Formel 1 das, was er als Kind vorm Fernseher gelernt hat, als er seinem Vater und Michael Schumacher zuguckte: „Das Rennen sollte der Höhepunkt sein.“

Alle drei Saisonsiege gingen bisher an Red Bull Racing, und dessen Teamchef Christian Horner verbittet sich die Annahme, dass seine Truppe angewiesen ist, es nicht zu toll zu treiben mit der Überlegenheit, die aus dem brillanten Rennwagen vom Typ RB 19 stammt. Aber ein feines, stolzes Lächeln danach kann sich der Brite nicht verkneifen. Bei den Herausforderern hat das zu mehr oder weniger hektischen Aktionen geführt, vor allem bei einem Rennstall, der es in all den Jahren davor gewohnt war, für brillante Rennwagen und Überlegenheit verantwortlich zu sein.

Teamchef Toto Wolff hat die brutale Ehrlichkeit als erstes Mittel auf dem Weg zur Besserung eingesetzt

Mercedes, der mit dem Reglementwechsel im vergangenen Jahr in die technische Krise geschlitterte einstige Serienchampion, probiert es mit einer Personalrochade: James Allison, der einstige Technikchef, löst Mike Elliott, ab, der sich um die Entwicklung kümmern soll. Das soll garantieren, dass der ehemalige Marktführer wieder sein ganzes Potenzial abruft. „Vielleicht bin ich besser für den kurzfristigen Kampf geeignet“, sagt Allison, „und Mike ist der bessere Schachspieler.“

Mercedes in der Formel 1: Gute Miene zum schwachen Auto: Mercedes-Teamchef Toto Wolff (3. v.l.) posiert vor der Saison mit seinen Fahrern George Russell (2. v.l.), Lewis Hamilton (3. v.r.) und Testfahrer Mick Schumacher (2. v.r.) vor dem neuen Gefährt.

Gute Miene zum schwachen Auto: Mercedes-Teamchef Toto Wolff (3. v.l.) posiert vor der Saison mit seinen Fahrern George Russell (2. v.l.), Lewis Hamilton (3. v.r.) und Testfahrer Mick Schumacher (2. v.r.) vor dem neuen Gefährt.

(Foto: AFP)

Es ist eine ordentliche Kehrtwende, die in den Mercedes-Rennfabriken im mittelenglischen Brackley und Brixworth verlangt wird. Offenbar scheint das technische Problem, das auch den neuen Silberpfeil plagt, zumindest nicht zu stark auf die Psyche zu drücken. Ein Insider sagt: „Wir haben entdeckt, dass die Rolle als Jäger sogar spannender sein kann. Wir erfinden uns gerade neu.“ Nur: Bis zum Europastart der Formel 1 Ende Mai ein komplett neues Auto auf die Räder zu stellen, das nicht mehr hüpft, aerodynamisch völlig anders aussieht und sich auf dem selben Level wie der siegreiche Red-Bull-Rennwagen bewegt, ist eine Herkulesaufgabe. Zumal der normale Formel-1-Betrieb weiterläuft – und der Budgetdeckel enge Grenzen setzt.

Deshalb setzt das Stuttgarter Werksteam nicht bloß auf eine kurzfristige technische Neukonstruktion. Mercedes denkt schon in Richtung 2026, wenn mehr Elektroantrieb kommt – und mit Audi ein großer neuer Herausforderer. Teamchef Toto Wolff, der sich stets stark mit der eigenen Psyche und der seiner Mannschaft auseinandersetzt, hat die brutale Ehrlichkeit als erstes Mittel auf dem Weg zur Besserung eingesetzt. Wolff sagt: „Wir dürfen nicht zu sehr zwischen Überschwang und Depression schwanken. Wir müssen auch bei Rückschlägen an unseren Weg glauben. Das Ruder wieder herumzureißen, ist für mich die große Herausforderung.“

Schon nach den Testfahrten war klar: das Auto für 2023 ist wieder kein großer Wurf

So kreiselt man munter in der Mental-Weltmeisterschaft – und besetzt nicht nur die Spitzenpositionen neu. Ingenieure einer neuen Generation mit frischen Ideen, manchmal auch mit frechen, sind herzlich willkommen. Längst betreibt Mercedes eigene Nachwuchsprogramme im Zusammenspiel mit Universitäten, die Personalabteilung kann über Bewerber nicht klagen. „Wir sind keine statische Organisation. Deshalb sammeln wir neue Energie und holen zusätzliche Expertise an Bord“, sagt Rennstall-Kommunikator Bradley Lord. Das, was gerade an neuen Strukturen erarbeitet wird, ist einem ehrgeizigen Plan untergeordnet: „Wir denken nicht nur an diese Saison, sondern größer: Wir bauen am Siegerteam der Zukunft.“

Daher die plötzliche radikale Veränderung der Führungsstruktur, nachdem schon bei den Testfahrten klar war, dass das neue Auto für 2023 wieder nicht der große Wurf war. Zu lange hat man sich selbst blenden lassen, das soll jetzt vorbei sein – auch die Plätze zwei und drei für Lewis Hamilton und George Russell beim chaotischen Rennen in Melbourne werden daher nicht überbewertet. Der Motivation waren sie zwar zuträglich, und auch wenn die B-Version des aktuellen Models schon im Windkanal steht: Welch große Sprünge selbst ein Top-Team in einer laufenden Saison machen kann, bleibt offen. „Unser W14 wird für mich immer ein schwaches Auto sein“, verrät der neue Technikchef Allison, „jedenfalls so lange, bis es das Schnellste ist.“ Der eher stille, aber schnelle Denker sagt: „Mit meinen Gedanken bin ich ohnehin schon im Jahr 2026.“

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